Leon Engler – Botanik des Wahnsinns | Buchkritik
Update: 2025-09-09
Description
Sind wir frei? Oder Gefangene unserer genetischen und seelischen Prägung? Oder irgendwas dazwischen? Leon, der Ich-Erzähler, stellt sich diese Frage täglich. Er will auf keinen Fall werden wie seine Vorfahren: Tagelöhner, Träumer und Trinker. So nennt er sie milde.
Im harten Diagnosejargon der Psychiater sind sie: Schizophrene, Bipolare, Depressive mit Hang zur Sucht. Leon, den wir nur mit Vornamen kennen, stemmt sich mit aller Kraft gegen den, wie er es nennt, Fluch seiner Ahnen und auch gegen die Anziehungskraft des Irreseins.
Sich fallen lassen, nichts mehr müssen und der Mutter, die das auch getan hat, wenigstens auf diese Weise nah sein. Der Mutter, die sich geschworen hatte, nicht so verrückt zu werden wie ihre Mutter und es auch viele Jahre geschafft hatte, sie erliegt schließlich doch dem Fluch der Ahnen.
Leon findet einen Ausweg aus dem Dilemma, in der Nähe seiner Eltern zu bleiben, aber nicht wie sie sein zu müssen. Er studiert Psychologie. Als die getrennt lebenden Eltern jedoch den Kontakt zu ihm aufgeben und seine Besuche abwehren, schreibt er in sein Tagebuch:
Der Schauspieler Johannes Nussbaum liest den ganzen Roman für das Hörbuch im Ton illusionsloser Sachlichkeit.
Die „Botanik des Wahnsinns“ ist eine literarische Reise- und Fallgeschichte auf mindestens drei Ebenen. Da ist einmal die Gegenwart des Ich-Erzählers, der Tagebuch schreibt und als Therapeut in der Psychiatrie in Wien arbeitet. Weiterhin die Ebene vieler Rückblenden in die Vergangenheit seiner Vorfahren und darin eingewoben die essayistischen Passagen, etwa über die Geschichte der Psychiatrie.
Zitate von Kristeva, Musil, Nietzsche und vielen anderen laden Englers Text mit Impulsen auf, die den Blick der Leser noch einmal in eine andere Richtung lenken. Der Roman bezieht seine Spannung jedoch vor allem aus einem nur untergründig spürbaren Konflikt mit der aktuellen Realität.
Gefühle der Desorientierung, Hoffnungslosigkeit und Isolation haben nämlich zur Folge, dass derzeit viele Menschen den Anforderungen der Leistungsgesellschaft nicht mehr standhalten können. „Die Botanik des Wahnsinns“ erinnert daran, dass es das Los des Menschen ist zu scheitern. Und Engler kann für jeden verständlich beschreiben, welche Formen das mitunter annimmt.
So setzt Leon Engler das, was die Psychiater eine bipolare Störung nennen, treffsicher ins Bild. Der Autor, der im letzten Jahr seiner Ausbildung zum Psychotherapeuten ist, sagt, sein Debüt sei kein Memoir. Er fühle sich eher wie der Zwilling des Ich-Erzählers Leon, 30 Prozent gleich, 70 Prozent anders.
Auf die Kardinalfrage des Romans zu kommen, wie ein Mensch es schaffen kann, das Trauma seiner Familie nicht zu wiederholen, antwortet er im Gespräch, dies sei schwer:
„... unbewusst hat sich ja schon eingeschrieben, wie man sich bindet. Also dass man vielleicht eher Bindung vermeidet, weil die anderen sind nicht sicher. Wie man erzogen wurde, wie man kommuniziert, man merkt es ja gar nicht, man macht es ja ganz automatisch. Sich dessen bewusst zu werden ist sehr, sehr schwierig. Manchmal fühlt es sich an, wie die Schwerkraft überwinden zu müssen. Aber es ist bewiesenermaßen möglich.“
„Botanik des Wahnsinns“ ist randvoll mit erstklassigem Gedankenstoff, ein spannender Entwicklungsroman, die Odyssee Leons, die letztlich zu einem Happy End führt, das wir bisher vielleicht nur noch nicht als solches erkannt haben.
Im harten Diagnosejargon der Psychiater sind sie: Schizophrene, Bipolare, Depressive mit Hang zur Sucht. Leon, den wir nur mit Vornamen kennen, stemmt sich mit aller Kraft gegen den, wie er es nennt, Fluch seiner Ahnen und auch gegen die Anziehungskraft des Irreseins.
Sich fallen lassen, nichts mehr müssen und der Mutter, die das auch getan hat, wenigstens auf diese Weise nah sein. Der Mutter, die sich geschworen hatte, nicht so verrückt zu werden wie ihre Mutter und es auch viele Jahre geschafft hatte, sie erliegt schließlich doch dem Fluch der Ahnen.
Sie war so kraftlos, so hoffnungslos, so lebenslos, lag herum wie die Wäsche, die sie nicht mehr wusch und die Briefe, die sie nicht mehr öffnete.Quelle: Leon Engler – Botanik des Wahnsinns
Der Fluch der Ahnen
Leon findet einen Ausweg aus dem Dilemma, in der Nähe seiner Eltern zu bleiben, aber nicht wie sie sein zu müssen. Er studiert Psychologie. Als die getrennt lebenden Eltern jedoch den Kontakt zu ihm aufgeben und seine Besuche abwehren, schreibt er in sein Tagebuch:
Ich muss mich geschlagen geben. Es ist nicht mein Kampf, den ich verliere. Aber ich verliere dennoch. Ich verliere meine Eltern. Endlich gebe ich die Hoffnung auf. Ich bin nicht imstande, sie zu trösten. Nicht so gut wie der Wein und die Einsamkeit.Quelle: Leon Engler – Botanik des Wahnsinns
Der Schauspieler Johannes Nussbaum liest den ganzen Roman für das Hörbuch im Ton illusionsloser Sachlichkeit.
Die „Botanik des Wahnsinns“ ist eine literarische Reise- und Fallgeschichte auf mindestens drei Ebenen. Da ist einmal die Gegenwart des Ich-Erzählers, der Tagebuch schreibt und als Therapeut in der Psychiatrie in Wien arbeitet. Weiterhin die Ebene vieler Rückblenden in die Vergangenheit seiner Vorfahren und darin eingewoben die essayistischen Passagen, etwa über die Geschichte der Psychiatrie.
Zitate von Kristeva, Musil, Nietzsche und vielen anderen laden Englers Text mit Impulsen auf, die den Blick der Leser noch einmal in eine andere Richtung lenken. Der Roman bezieht seine Spannung jedoch vor allem aus einem nur untergründig spürbaren Konflikt mit der aktuellen Realität.
Gefühle der Desorientierung, Hoffnungslosigkeit und Isolation haben nämlich zur Folge, dass derzeit viele Menschen den Anforderungen der Leistungsgesellschaft nicht mehr standhalten können. „Die Botanik des Wahnsinns“ erinnert daran, dass es das Los des Menschen ist zu scheitern. Und Engler kann für jeden verständlich beschreiben, welche Formen das mitunter annimmt.
Die Mutter meiner Mutter war wie Wasser. Heute Dampf, morgen Eis.Quelle: Leon Engler – Botanik des Wahnsinns
Das Los des Menschen: Scheitern
So setzt Leon Engler das, was die Psychiater eine bipolare Störung nennen, treffsicher ins Bild. Der Autor, der im letzten Jahr seiner Ausbildung zum Psychotherapeuten ist, sagt, sein Debüt sei kein Memoir. Er fühle sich eher wie der Zwilling des Ich-Erzählers Leon, 30 Prozent gleich, 70 Prozent anders.
Auf die Kardinalfrage des Romans zu kommen, wie ein Mensch es schaffen kann, das Trauma seiner Familie nicht zu wiederholen, antwortet er im Gespräch, dies sei schwer:
„... unbewusst hat sich ja schon eingeschrieben, wie man sich bindet. Also dass man vielleicht eher Bindung vermeidet, weil die anderen sind nicht sicher. Wie man erzogen wurde, wie man kommuniziert, man merkt es ja gar nicht, man macht es ja ganz automatisch. Sich dessen bewusst zu werden ist sehr, sehr schwierig. Manchmal fühlt es sich an, wie die Schwerkraft überwinden zu müssen. Aber es ist bewiesenermaßen möglich.“
„Botanik des Wahnsinns“ ist randvoll mit erstklassigem Gedankenstoff, ein spannender Entwicklungsroman, die Odyssee Leons, die letztlich zu einem Happy End führt, das wir bisher vielleicht nur noch nicht als solches erkannt haben.
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